Gesetz vom 22. Prairial II (10. Juni 1794)

Der Nationalkonvent dekretiert nach Anhörung des Berichts des Wohlfahrtsausschusses wie folgt:

Artikel 1
Es gibt am Revolutionstribunal einen Präsidenten und vier Vizepräsidenten, einen öffentlichen Ankläger, vier Stellvertreter des öffentlichen Anklägers und zwölf Richter.

Artikel 2
Die Zahl der Geschworenen beträgt fünfzig.

Artikel 3
Diese verschiedenen Funktionen werden von folgenden namentlich aufgeführten Bürgern ausgeübt:
(...)
Das Revolutionstribunal gliedert sich in Sektionen, die aus zwölf Mitgliedern bestehen, nämlich drei Richtern und neun Geschworenen; um ein Urteil zu fällen, müssen mindestens sieben Geschworene versammelt sein.

Artikel 4
Der Zweck der Einsetzung des Revolutionstribunals ist es, die Feinde des Volkes zu bestrafen.

Artikel 5
Feinde des Volkes sind alle diejenigen, die die öffentliche Freiheit durch Gewalt oder List vernichten wollen.

Artikel 6
Als Feind des Volkes gilt,
wer die Wiedererrichtung des Königtums betreibt oder die Verächtlichmachung oder Auflösung des Nationalkonvents und der republikanischen Revolutionsregierung, deren Zentrum er ist, anstrebt;
wer als Standorts- oder Armeebefehlshaber oder in irgendeiner anderen militärischen Funktion die Republik verrät, geheime Beziehungen mit den Feinden der Republik unterhält oder vorsätzlich Mängel in der Versorgung und beim Heeresdienst herbeiführt;
wer die Lebensmittelversorgung von Paris zu behindern oder die Teuerung in der Republik auszulösen bestrebt ist;
wer die Pläne der Feinde Frankreichs begünstigt dadurch, dass er Verschwörern und Aristokraten behilflich ist, heimlich zu fliehen und sich der Strafe zu entziehen, oder dadurch, dass er Patrioten verfolgt und verleumdet, Volksvertreter besticht oder die Prinzipien der Revolution und die Gesetze und Maßnahmen der Regierung durch eine falsche und böswillige Ausführung missbraucht;
wer das Volk und seine Repräsentanten täuscht, um sie zu Maßnahmen zu veranlassen, die dem Interesse der Freiheit zuwiderlaufen;
wer Mutlosigkeit zu verbreiten sucht mit der Absicht, die Unternehmungen der gegen die Republik verbündeten Tyrannen zu fördern;
wer falsche Nachrichten ausstreut, um das Volk zu spalten oder zu verwirren;
wer die öffentliche Meinung irrezuführen und die Information des Volkes zu behindern, wer die Sitten zu verderben und das öffentliche Bewusstsein zu trüben, wer die Kraft und Reinheit der revolutionären und republikanischen Prinzipien zu verfälschen oder ihren Fortschritt durch gegenrevolutionäre oder Hetzschriften oder mit sonstwie arglistigen Mitteln aufzuhalten versucht;
jeder unehrliche Lieferant, der das Wohl der Republik gefährdet, und jeder, der öffentliches Vermögen vergeudet, soweit er nicht unter die Bestimmungen des Gesetzes vom 7. Frimaire fällt;
wer, mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes betraut, dieses dazu missbraucht, den Feinden der Revolution zu dienen, die Patrioten zu drangsalieren und das Volk zu unterdrücken;
schließlich alle, die in den vorangegangenen Gesetzen über die Bestrafung der Verschwörer und Gegenrevolutionäre genannt sind und die - mit welchen Mitteln und unter welcher Maske auch immer - die Freiheit, Einheit und Sicherheit der Republik angreifen oder an ihrer Unterhöhlung arbeiten.

Artikel 7
Die Strafe für alle Delikte, deren Aburteilung dem Revolutionstribunal vorbehalten ist, ist der Tod.

Artikel 8
Als notwendiges Beweismittel, um die Feinde des Volkes zu verurteilen, dient jede Art von Beweisen, seien sie materiell oder moralisch, schriftlich oder mündlich, die ihrer Natur nach die Billigung jedes gerecht denkenden und vernünftigen Geistes finden können. Die Richtschnur bei der Urteilsfindung ist das von der Vaterlandsliebe erleuchtete Gewissen der Richter, ihr Ziel der Sieg der Republik und der Untergang ihrer Feinde, das Verfahren besteht in der Anwendung der einfachen Mittel, die der gesunde Menschenverstand an die Hand gibt, um in den gesetzlich festgelegten Formen zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen.
Es beschränkt sich auf die folgenden Punkte:

Artikel 9
Jeder Bürger hat das Recht, Verschwörer und Gegenrevolutionäre festzunehmen und vor die Behörden zu bringen; er ist zur Anzeige verpflichtet, sobald er von ihrer Tätigkeit erfährt.

Artikel 10
Vor das Revolutionstribunal bringen dürfen nur der Nationalkonvent, der Wohlfahrtsausschuss, der Allgemeine Sicherheitsausschuss, die einer Kommission des Konvents angehörenden Volksvertreter und der öffentliche Ankläger des Revolutionstribunals.

Artikel 11
Die verfassungsmäßigen Gewalten können dieses Recht in der Regel nicht ausüben, ohne zuvor den Wohlfahrtsausschuss und den Allgemeinen Sicherheitsausschuss unterrichtet zu haben und von ihnen ermächtigt worden zu sein.

Artikel 12
Der Angeklagte wird in öffentlicher Gerichtsverhandlung verhört. Die Formalität des vorangehenden geheimen Verhörs wird als überflüssig abgeschafft; sie darf nur noch in besonderen Fällen angewendet werden, wo sie im Interesse der Wahrheitsfindung für zweckdienlich gehalten wird.

Artikel 13
Liegen unabhängig von der Zeugenaussage materielle oder moralische Beweise vor, so erübrigt sich die Zeugenvernehmung, es sei denn, diese Formalität erscheint notwendig, um Mitschuldige zu entdecken, oder aus anderen zwingenden im öffentlichen Interesse liegenden Gründen.

Artikel 14
Falls es zu einer Zeugenvernehmung kommt, lässt der öffentliche Ankläger diejenigen Zeugen vorladen, die der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen können, ohne Rücksicht darauf, ob sie den Angeklagten belasten oder entlasten.

Artikel 15
Alle Zeugenaaussagen werden öffentlich genmacht. Schriftliche Aussagen werden nicht angenommen, außer wenn es den Zeugen unmöglich ist, vor dem Tribunal zu erscheinen; in diesem Fall bedarf es einer ausdrücklichen Genehmigung des Wohlfahrts- und Allgemeinen Sicherheitsausschusses.

Artikel 16
Das Gesetz gibt den verleumdeten Patrioten patriotisch gesinnte Geschworene als Verteidiger bei; die Verschwörer erhalten keine Verteidiger.

Artikel 17
Nach Beendigung der mündlichen Verhandlung geben die Geschworenen ihren Schuldspruch ab und verkünden die Richter in der vom Gesetz vorgeschriebenen Weise das Urteil.
Der Präsident stellt die Schuldfrage klar, einfach und eindeutig. Bei doppeldeutiger oder ungenauer Formulierung kann die Jury fordern, dass sie in anderer Form neu gestellt wird.

Artikel 18
Der öffentliche Ankläger kann den Fall eines dem Tribunal überstellten oder von ihm selbst vorgeladenen Angeklagten nicht aus eigener Machtvollkommenheit abweisen. Falls das Material zu einer Anklage vor dem Tribunal nicht ausreicht, macht er einen schriftlichen, begründeten Bericht an die Staatsratskammer, die darüber entscheidet. Kein Angeklager kann außer Strafverfolgung gesetzt werden, bevor die Entscheidung der Kammer dem Wohlfahrtsausschuss und Allgemeinen Sicherheitsausschuss mitgeteilt worden ist, der sie prüft.

Artikel 19
Es wird ein doppeltes Register der dem Revolutionstribunal überstellten Personen geführt, eines für den öffentlichen Ankläger, das andere beim Tribunal selbst, in welches alle Angeklagten entsprechend ihrer Überstellung eingetragen werden.

Artikel 20
Der Konvent annulliert alle diejenigen Bestimmungen der vorangegangenen Gesetze, die mit vorliegendem Dekret nicht übereinstimmen; er wünscht nicht, dass die die Organisation der gewöhnlichen Gerichte regelnden Gesetze auf gegenrevolutionäre Vergehen und die Tätigkeit des Revolutionstribunals Anwendung finden.

Artikel 21
Der Bericht des Ausschusses wird dem vorliegenden Dekret zur Kenntnisnahme beigefügt.

Artikel 22
Die Veröffentlichung des Dekrets im Bulletin kommt seiner Verkündung gleich.

Quelle: Walter Grab (Hrsg.): Die Französische Revolution, München 1973, ISBN 3-404-64085-3, 301 ff.

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